Freitag, 20. Mai 2011

EU in der Krise

"Es war von Anfang an klar, dass die EU mit ihrer sogenannten Griechenland-Hilfe nur französischen und deutschen Banken hilft und dass das sogenannte Hilfspaket Griechenland nur noch tiefer ins Desaster stürzt. Die Rechnung ist ganz einfach: Liegt die Schuld bei 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und liegen die Zinsen über der Wachstumsrate, kann diese Schuld nur entweder wachsen oder aber abgeschrieben werden", sagt Joze Mencinger, der erste slowenische Wirtschaftsminister, in der FR vom 20.5.11 und vergleicht die gegenwärtige Situation der EU mit der Jugoslawiens von 1983.
Mencinger hat das Recht auf eine zugespitzte Formulierung. Aber natürlich schadete ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone nicht nur den Banken, sondern auch der EU, genauso wie das der Bankrott des griechischen Staates täte. Die Banken haben sich darauf verlassen, dass die EU für die griechischen Schulden aufkommt. Weil sie damit die Schuldenwirtschaft Griechenlands (und entsprechende Exporte Deutschlands*) angeheizt haben, dürfen sie freilich nicht ohne Verluste wegkommen, aber im Interesse der EU auch nicht schlagartig zusammenbrechen.
Anmerkung:

*Die überhöhte Exportquote Deutschlands trägt genauso zur Krise bei wie die überhöhte Importquote Griechenlands.

Noch sei die EU freilich stabil: "... die EU hat sich als stabil erwiesen. Aber die Pfeiler dieser Stabilität sind schon sehr merkwürdig: Trägheit, Bereitschaft zur Missachtung der eigenen Regeln, Demokratiedefizit, ständige Schaffung neuer Institutionen, leeres Gerede […]
Die Funktion der Trägheit etwa können Sie bei der langsamen Modernisierung der gemeinsamen Agrarpolitik oder den Schwüren auf die längst irrelevanten Maastricht-Kriterien beobachten. Dass die EU aus politischen Gründen ihre eigenen Regeln missachtet, sehen Sie an der Aufnahme Italiens oder Belgiens in die Eurozone, obwohl deren Defizit doppelt so hoch war wie erlaubt. Die Vorzüge des Demokratiedefizits lassen sich schön daran ablesen, wie der Lissabon-Vertrag die ablehnenden Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden umging."
Da es - mit Ausnahme des Europäischen Parlaments und bescheidener Ansätze in der Publizistik - noch keine europäische Öffentlichkeit gibt, ist ein Demokratiedefizit in der EU noch unvermeidlich. Mittelfristig kommt die EU aber ohne diese Öffentlichkeit nicht aus.
Seine Sorge: "Am meisten beunruhigt mich, was ich das jugoslawische Syndrom nenne. Als Jugoslawien in den 80er Jahren in eine Periode der Stagnation trat, begannen die Menschen, nach Schuldigen und Ausbeutern zu suchen. Am Ende fühlte sich jeder von jedem ausgebeutet. Solche Zeichen gibt es auch heute. Mehr und mehr Menschen in Deutschland glauben, die Griechen beuten sie aus, während die Griechen sich von den Deutschen ausgebeutet glauben. Deshalb fürchte ich mich sehr vor einer langanhaltenden Krise. Halten Währungsunion und EU das aus?"
Nein, sie halten es nicht aus. Wenn es immer nur die Alternative gibt "Bist du für Europa oder dagegen?", ist in Europa nur Verwaltung durch die europäischen Institutionen und Obstruktion durch die Euroskeptiker möglich. Der Streit muss über die Richtung der Weiterentwicklung der EU geführt werden. Und dabei müssen wie in der Bundesrepublik Deutschland allgemeine (europaweite) Interessenkonflikte ausgetragen werden und auch regionale Interessen vertreten werden können. Der Streit über die europaweiten Interessen wird aber noch nicht genügend ausgetragen, weil das Parlament immer noch zu sehr auf seine Emanzipation von Europäischem Rat und den Ministerräten fixiert ist.
Weitgehend zu Recht, weil ihm Rechte fehlen. Aber auch zu Unrecht, weil die Europäische Öffentlichkeit, die die Legitimitätsgrundlage für das Parlament bilden müsste, weitgehend noch fehlt.

Weiter im Artikel:
[Frage:] Muss denn die Finanzpolitik in einer Währungsunion nicht harmonisiert werden?

[Mencinger:] Abgesehen davon, dass die Vorschläge der EU-Institutionen dazu falsch sind: Die Harmonisierung ist schon als solche gefährlich, denn sie schließt die Harmonisierung und Vertiefung wirtschaftlicher Zyklen ein. Das verschärft die Krisen.
Hier überbewertet Mencinger meiner Meinung nach seine an Sloweniens Interessen orientierten Erfahrungen in Jugoslawien. - Wenn Harmonisierung bedeutet, dass die Schwächeren neben dem Konkurrenzdruck auch Unterstützung erfahren, muss sie nicht zur Auseinanderentwicklung führen (Beispiel: Bayern in der BRD).
Und dass die EU in dieser Hinsicht anders funktioniert hat als Jugoslawien, gibt auch Mencinger zu.

Ein interessanter Artikel, den vollständig zu lesen sich unbedingt lohnt: FR vom 20.5.11

2 Kommentare:

Walter Böhme hat gesagt…

Der Interviewer von Mencinger, Herr Mappes-Niediek
hat diesen Post kommentiert, leider aber zu dem neueren Post "kurz festgehalten" eingestellt. Daher setze ich seinen auch hierher:


Gründlich gelesen, kluge Anmerkungen! Ich fürchte aber, wenn Sie die Demokratisierung wegen fehlender europäischer Öffentlichkeit für unmöglich halten, zäumen Sie das Pferd von hinten auf. Gibt es eine Schweizer Öffentlichkeit, über die Sprachbarrieren hinweg? Es gibt sie, soweit es eine Schweizer Identität gibt - und diese wiederum ist eine Funktion des Umstands, dass die Schweizer bei der Wahl ihres Nationalrats und bei ihren bundesweiten Referenden nicht Kantonsbürger, sondern einfach nur Schweizer sind. Europäer dagegen sind nie Europäer, sondern immer nur Deutsche, Dänen, Griechen usw.

Mencinger weist hier zu Recht auf eine Parallele hin. Das Prinzip Ein-Mensch-eine-Stimme gibt es in der EU so wenig wie es das in Jugoslawien gab. Auch wer für das Europa-Parlament wählt, wählt nur sein nationales Kontingent.

Die europäische Öffentlichkeit wird dann entstehen, wenn sie etwas zu entscheiden hat und sie also gebraucht wird.

Gruß,
Norbert Mappes-Niediek
(Mencinger-Interviewer)

Walter Böhme hat gesagt…

Wenn ich jetzt noch darauf antworten darf:
Gewiss liegt ein Wechselverhältnis vor: Wenn im Europäischen Parlament die Sachfragen wichtiger werden als das Bemühen sich zwischen den anderen europäischen Institutionen zu behaupten, werden die Debatten dazu auch in den nationalen Zeitungen häufiger wahrgenmmen werden. Aber so lange die Parlamentsentscheidungen in der Öffentlichkeit nicht registriert werden, wird das Europäische Parlament auch nicht demokratisch kontolliert.