Mittwoch, 25. Juli 2012

Konzept zur Wiederherstellung der Marktwirtschaft

Ein allgemeiner Schuldenschnitt für Euroländer bei einer Verschuldung von mehr als 60% der Jahreswirtschaftsleistung (als Wiederherstellung der nach dem Stabilitätspakt vorgesehenen Ausgangssituation), das wird zur Pleite einer großen Zahl von Banken führen. Aber es würde endlich wieder Marktwirtschaft herstellen, denn: "Risiko und Haftung hängen in einer Marktwirtschaft nun einmal zusammen."
Damit das nicht zu einem Zusammenbruch führt, sieht der Plan außerdem vor:
Nach einer "technischen Sekunde der Insolvenz" soll der Staat nämlich die Banken mit frischem Eigenkapital versorgen und jene Teile fortführen, die für die Volkswirtschaft wirklich relevant sind: das Geschäft mit Kundeneinlagen und die Kreditvergabe an die Wirtschaft. Dadurch soll eine Rezession vermieden werden.

Meine Darstellung des Plans folgt Spiegel online, die schräg gedruckten Passagen sind wörtliche Zitate. Der Plan sieht einige ergänzende Elemente vor. Diese sowie einige Überlegungen zur Kritik des Plans sind bei Spiegel online unter "Neue Ideen zur Euro-Rettung" (25.7.12) von Christian Rickens nachzulesen. Rickens nennt seinen Beitrag "Sahra Wagenknechts erzliberales Manifest".

Ich bin gespannt, ob dieser Plan - nach einer Phase allgemeiner Ablehnung natürlich - unter anderem Namen nach minimalen Veränderungen unter schwarzem oder schwarz-rotem Label aufgegriffen wird oder ob wir weiter schlingern.
Je nach dem wird er in fünf Jahren vergessen sein oder Sarah Wagenknechts wirtschaftspolitlische Fachkompetenz in Fachkreisen - natürlich nicht in Politikerkreisen - allgemein anerkannt.
Ich lege diesen Artikel mal auf Wiedervorlage in 5 Jahren.
Schon jetzt krame ich ein Gespräch von Günter Gaus mit Sarah Wagenknecht von 2004 heraus. Er fragt so geschickt, dass sie trotz ihrer damals noch recht orthodoxen Linie nicht viel sagt, dem ich vehement widersprechen würde. Sie wirkt im Interview nicht nur intelligent, sondern auch erstaunlich selbständig im Denken. Dem folgenden Statement kann ich sogar wörtlich zustimmen: "Wenn sich viele Leute wehren, dann ist auch ein Druckpotential da, das natürlich Politik beeinflusst. Und so sind ja auch historisch diesem Kapitalismus alle sozialen Rechte abgerungen worden, von denen er sich zur Zeit wieder befreit. Das war ja nichts, was als Großzügigkeit irgendwann zugestanden wurde."

Meine eigenen Beobachtungen und Überlegungen zur Eurokrise findet man unter den Labeln Eurokrise und Finanzkrise sowie Exportweltmeister. Auch die kommen hoffentlich zur Wiedervorlage und bleiben nicht bis 2017 fortlaufend aktuell.
(Die Finanzkrise ist - auch in einem anderen Blog - bei mir seit Januar 2008 durchgängig Thema.)

Montag, 23. Juli 2012

Deutsche Bank greift in US-Wahlkampf ein

Das verdient festgehalten zu werden: Die Deutsche Bank und die Allianz unterstützen den Präsidentschaftskandidaten Romney, um eine zweite Amtszeit von Obama zu verhindern.
Viele Anhänger von Obama sind von ihm enttäuscht, weil er zu wenig zur Regulierung der Banken getan hat. Jetzt greifen multinationale Konzerne aus Europa ein, weil sie seine Regulierungsmaßnahmen fürchten. Früher hat man so etwas noch Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates genannt.

Samstag, 21. Juli 2012

Unsichere Arbeitsverhältnisse machen krank

und kosten oft Lebensjahre, schreiben Forscher des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin laut ZEIT-online.

"Eigentlich versorgt Trabert seit 1997 ehrenamtlich nur die Obdachlosen in Mainz und Bingen, neben seiner Professur für Sozialmedizin an der Hochschule Wiesbaden. Kostenlos behandelt er sie in Wohnheimen und fährt mit einem zur Praxis umgebauten Wohnmobil zu Plätzen, an denen sie trinken und betteln. Immer häufiger aber geraten Patienten in seine Sprechstunde, für die sie nicht gedacht war: [..] Erst neulich kam ein alleinerziehender Vater, ganz verzweifelt. Er brauchte Salbe für seine kleine Tochter, um ihre juckende Neurodermitis zu lindern. Der Kinderarzt hatte nur ein Privatrezept ausgestellt, die 30 Euro bezahlen konnte der Vater nicht. Natürlich half Trabert. Für ihn machen solche Vorfälle offensichtlich, dass Gesundheit in Deutschland eine Frage des Geldes wird. Ob Brillen, Zahnersatz, Batterien für Hörgeräte, Physiotherapien oder Verhütungsmittel für über 20-Jährige – nichts davon werde vom Regelsatz im Arbeitslosengeld II berücksichtigt, sagt er. [...] Thomas Lampert vom Koch-Institut glaubt nicht, dass mehr soziale Fürsorge oder ein Ausbau des Gesundheitswesens durch den Staat die Leben der Armen verlängern würden. »Die Lösungen liegen auf dem Arbeitsmarkt und damit in der Gesellschaft.« Sichere Beschäftigungsverhältnisse, faire Löhne, alters- und familiengerechte Arbeitszeitmodelle und eine größere Durchlässigkeit zwischen den Schichten seien Schlüssel für gesündere und damit längere Lebensläufe." (ZEIT-online)

Deutschland ist dank der Agenda 2010 wieder Exportweltmeister geworden. Die Leistungsbilanz ist wieder so unausgeglichen geworden, dass sie mit zum Zahlungsbilanzdefizit der südlichen Euro-Länder beigetragen hat. (Nach dem Stabilitätsgesetz soll das eigentlich vermieden werden, denn ein Exportüberschuss bringt Gefahren mit sich.) Doch dieser Exportüberschuss ermöglicht es uns auch, die südlichen Euro-Länder nach der Pfeife der deutschen Banken tanzen zu lassen.
Sollen wir darauf verzichten, nur weil deutsche Arbeitnehmer davon krank werden?
Ist das wirklich schon Grund genug?

Dienstag, 17. Juli 2012

Beschneidung

Dass das Kölner Landgericht Rechtsunsicherheit in Deutschland schafft, wo seit Jahrzehnten unangefochten ein Brauch geübt wird, der von einem Drittel der Menschheit seit vielen Jahrhunderten geübt wird, scheint wenig sinnvoll. Es hätte vielleicht erst einmal 95 Thesen zu Körperverletzung und Beschneidung in Fachkreisen kursieren lassen sollen, wie es ein nicht ganz so selbstbewusster Wittenberger Theologe in einem ein schon damals strittigeren Fall getan hat. Es hätte aber auch urteilen und den Gesetzgeber zur Schließung einer Gesetzeslücke auffordern können. Denn dass sowohl Ähnlichkeit als auch Unterschiede zur weiblichen Beschneidung bestehen, die seit einiger Zeit in großen Teilen der Welt kritisch gesehen wird, ist offenkundig.

Aber die Diskussion halte ich für sinnvoll. Sie dürfte allerdings von beiden Seiten etwas zielgerichteter geführt werden. Das könnte eine Hilfe für den Gesetzgeber sein.

(Ich habe länger gezögert, etwas zu dieser teils sehr emotional geführten Diskussion zu schreiben.) (vgl. auch SZ)

Freitag, 13. Juli 2012

Menschen nicht ertrinken zu lassen, kann Ärger machen


Die Frankfurter Rundschau berichtet am 13.7.12:
Dass im Mittelmeer zwischen Libyen und Italien, nach der Aussage des einzigen Überlebenden 55 Flüchtlinge ertranken, war den meisten Zeitungen – auch dieser – gerade noch eine Kurzmeldung wert.
„Es ist schwer zu glauben, dass in jenem Teil des Meeres 15 Tage lang kein Schiff sie bemerkte“, argwöhnt die linke italienische Tageszeitung il manifesto, aber offenbar herrsche die Ansicht vor, „wer Ausländern in Schwierigkeiten hilft, wird Probleme haben, auch weil die Staaten die Ausschiffung verhindern und die Ausländer auf den Schiffen bleiben müssen, die sie aufgefischt haben.“
Lorenzo Pezzani von der Hilfsorganisation Boats4People hat den Überlebenden interviewt und ein Video davon bei vimeo ins Netz gestellt. Abbas Saton berichtet, er habe zwei Wochen lang an Überreste des Bootes geklammert im Meer getrieben, bis tunesische Fischer ihn entdeckten und ihn der Küstenwache übergaben. Nicht jede Rettung läuft für die Retter so glimpflich ab. Nur wenn die Retter sicherstellen, dass die Behörden die Geretteten ohne weiteres wieder abschieben können, werden sie keine Schwierigkeiten haben. Das gilt freilich nur für Nicht-EU-Bürger. EU-Bürger dürfen vor europäischen Küsten gerettet werden. Können wir uns damit zufrieden geben?

Dienstag, 10. Juli 2012

Meldegesetz und Datenschutz

Welche Empörung über die Volkszählung von 1983 und jetzt das: 57 Sekunden für das Meldegesetz, das (dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung entgegen) eine Widerspruchsregelung einführt, obwohl offiziell (fast) alle für die Einwilligungsregelung sind, vor allem die, die das Gegenteil durchgesetzt haben. Ein guter Kommentar in Spiegel online.

Neues vom Verfassungsschutz


 Katharina König (MdL) von der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag hat auf der Homepage des Jugend- und Wahlkreisbüros Haskala Zitate aus Sitzung vom 9.7.12 des Untersuchungsausschusses des Landtages zur NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) mitgeteilt.
Daraus zitiere ich hier die 10. Aussage von Helmut Roewer, dem ehemaligen Chef des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz:
“Wie ich Verfassungsschutz-Präsident wurde? Es war an einem Tag nachts um 23 Uhr, da brachte eine mir unbekannte Person eine Ernennungs-Urkunde vorbei, in einem gelben Umschlag. Es war dunkel, ich konnte sie nicht erkennen. Ich war außerdem betrunken. Am Morgen fand ich den Umschlag jedenfalls noch in meiner Jacke.”

Entweder ist er inzwischen so radikal rechts orientiert, dass er die Ausschussarbeit lächerlich zu machen versucht oder es herrschten dort wirklich unhaltbare Zustände. Laut taz vom 14.11.2011 schreibt er jetzt für einen als rechtsextrem eingeschätzten Verlag. Mehr zu dem Untersuchungsausschuss bei Spiegel online.

Nachtrag vom 11.7.12:
Sachsens Verfassungsschutzchef tritt zurück
Nachtrag vom 13.7.12:
Minister und Staatssekretär, die mir Roewers Ernennung nichts zu tun haben wollten, waren die Hauptbeteiligten.

Nachtrag vom 18.10.12:
Inzwischen stellt sich heraus, dass der Verfassungsschutz noch mehr NSU-Akten geschreddert hat, als bisher bekannt war. (vgl. auch NSU-Untersuchungsausschuss) 284 Akten vernichtet.

Sonntag, 8. Juli 2012

Gauck wünscht Erklärung der Politik in der Eurokrise

Joachim Gauck hat in seinem Sommerinterview gefordert, Merkel solle der Bevölkerung genauer erklären, was ihre Aktionen zur Eurorettung bedeuten.
Seine Äußerungen tragen bisher wirklich dazu bei, dass manches in den Medien genauer betrachtet und dadurch für die Bürger in seinen Implikationen deutlicher erkennbar wird.

Sonntag, 1. Juli 2012

Unser Problem ist nicht die Welt, in der wir leben, sondern die, in der wir zu leben glauben

Wir richten unser Handeln nämlich nicht an der Wirklichkeit aus, sondern an dem, was wir für die Wirklichkeit halten.
Falls Soros mit seinem Spiegel-Interview vom 26.6. Recht haben sollte, dann steckt Merkel gegenwärtig alle ihre Energie darein, eine Strategie durchzusetzen, die Europa und damit Deutschland immer tiefer in die Krise treibt.
Ob er mit seinen Überlegungen im einzelnen Recht hat, weiß ich nicht. Aber dass die Bundesrepublik nicht ungestraft ihre Nachbarn dauerhaft in eine negative Handelsbilanz treiben kann, davon bin ich überzeugt.
Übrigens hat Frankreich auch nicht geradezu davon profitiert, dass es nach dem Ersten Weltkrieg so lange Härte gegenüber Deutschland gezeigt hat, bis die Mehrzahl der Deutschen Hitler in die Arme gelaufen ist.

Ich jedenfalls würde nicht darauf wetten, dass die Bevölkerung aller verschuldeter Euro-Staaten sich eine dauerhafte Sparpolitik aufzwingen lässt, ohne irgendwann einmal nach rechts abzudriften.