Sonntag, 7. Februar 2016

Wefings Plan: Grenzkontrolle + Flüchtlingskontingente

Heinrich Wefing entwirft in der ZEIT einen pragmatischen Plan, wie er vor Merkels "Wir schaffen das." innenpolitisch wegen angeblich fehlenden Bedarfs kaum eine Durchsetzungschance hatte, jetzt vermutlich europapolitisch mehr Konsensbereitschaft erfordert, als noch abrufbar ist, der aber den Charme einer inneren Logik hat:

Heinrich Wefing: Die menschliche Grenze ZEIT online 7.2.16 (aus ZEIT Nr. 6 vom 4.2.16)
"Jenseits von Schießbefehl, Obergrenzen und "Weiter so": Wie eine Lösung der Flüchtlingskrise aussehen könnte, die gut für die Zuwanderer ist, gut für das Land und nebenbei auch für die Kanzlerin."

[...] Und diese freie Wahl des Asylstaates, die sich in den vergangenen Monaten durchgesetzt hat, sei "ein Pull-Faktor ersten Ranges", wie Christine Langenfeld, die Vorsitzende desSachverständigenrats Integration und Migration, unlängst bemerkt hat.
Wahrscheinlich würde es in den ersten Tagen nach der Verkündung eines solchen Aufnahmestopps Wut, Empörung, Verzweiflung unter den Asylsuchenden geben, womöglich Tumulte. Wahrscheinlich müssten die Grenzkontrollen verstärkt werden und Ankommende abgewiesen werden; entsprechende Einsatzkonzepte der Bundespolizei gibt es bereits. Vermutlich würden manche Zuwanderer versuchen, die Grenzkontrollen zu umgehen und illegal ins Land zu gelangen. Da ihnen dann aber keine Leistungen mehr zustünden und sie auch keine Chancen hätten, einen Asylantrag zu stellen, wäre der illegale Grenzübertritt wenig attraktiv.
Ein solcher Schnitt, einige Wochen durchgehalten, würde nachhaltig die individuellen Abwägungen der Zuwanderer verändern. Die Aussicht auf eine dauerhafte Bleibe in Deutschland wäre dahin, der Anreiz, viel Geld auszugeben und hohe Risiken auf sich zu nehmen, würde minimiert.

Kontingentlösung würde Schleppern das Geschäft vermiesen

Zeitgleich mit dem Aufnahmestopp aber müsste eine Ausnahme verkündet werden, es müsste gleichsam von Anfang an ein institutionalisiertes Tor in die Außengrenzen Europas eingebaut werden – Flüchtlingskontingente.
Deutschland müsste sich bereit erklären, Jahr für Jahr ein Kontingent von Menschen aus den Flüchtlingslagern in Syrien, in Jordanien, der Türkei und dem Libanon aufzunehmen. Sie könnten per Schiff oder Bahn kommen, vielleicht auch gleich per Flugzeug, ausgewählt in einem halbwegs fairen Verfahren, nach transparenten Kriterien.
Eine solche Kontingentlösung würde den Schleppern ihr mörderisches Geschäft vermiesen. Sie würde den Druck auf die Balkanroute und die Außengrenzen der EU senken. Sie würde die moralische Rechtfertigung schaffen, die Außengrenzen weitgehend zu schließen, insbesondere für Wirtschaftsmigranten. Vor allem aber würde sie die fundamentale Ungerechtigkeit, ja Inhumanität der aktuellen Praxis beseitigen, über die in Deutschland derzeit kaum gesprochen wird.
Denn die gegenwärtige Politik der buchstäblichen Ein-Wanderung fördert ja in Wahrheit die Starken und benachteiligt die Schwachen. Sie dient nicht vordringlich denen, die Hilfe, Schutz, medizinische Versorgung am nötigsten brauchten: Familien mit Kindern, Waisen, Kranken, Alten. Sie nützt vor allem denen, die Kraft haben und Geld und Beziehungen. Nicht zufällig sind es so viele junge Männer, die zu uns kommen: weil sie die besten Chancen haben, sich durchzuschlagen.
Mit einer Kontingentlösung ließe sich dieser humanitäre Widersinn beenden. Wie viele dann kommen könnten? Gewiss nicht bloß 25.000, wie Kanada sie aufnimmt, aber sicher auch nicht so viele wie im vergangenen Jahr. Vielleicht 300.000, vielleicht 400.000 Menschen, jedes Jahr. Würde es Ungerechtigkeiten geben bei der Auswahl, wer kommen darf und wer nicht? Gewiss. Aber es wäre mehr Fairness als jetzt, da das Schicksal entscheidet oder ein Sturm, wer lebt und wer stirbt. Und wenn es funktionieren würde, könnte es eine Sogwirkung entfalten: auf andere Staaten, ebenfalls Kontingente aufzunehmen. [...]
Eine Kontingentlösung für Zehntausende, vielleicht Hunderttausende Bürgerkriegsflüchtlinge im Jahr, verbunden mit einer Marshallplan-artigen Hilfe für die Anrainerstaaten Syriens – auch das wäre ein Versöhnungswerk, dessen sich niemand im Westen zu schämen brauchte.

Freilich entwirft Wefing ein nicht ganz realistisches Bild. Denn schon was er über die gegenwärtige Situation schreibt, ist ein allzu weich gezeichnetes Bild: 
"Selbst an dem martialisch gesicherten Zaun zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten wird nicht scharf geschossen, ebenso wenig an den Sperranlagen rings um die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla in Marokko."
 Ein Beleg dafür sind die spanischen Enklaven Melilla und Ceuta in Nordafrika, wo von den 30 000 Flüchtlingen, die in der Wüste auf ihre Chance warten, seit 2005.immer wieder einmal Massenstürme auf die Zäune (erst 6, dann 8 Meter hoch) unternommen werden und wo es immer wieder zu Todesfällen kommt und 2014 sehr wohl zum Schusswaffengebrauch, der Flüchtlinge das Leben kostete, auch wenn es nur Gummigeschosse gewesen sind.
Außerdem ist eine "Marshallplan-artigen Hilfe für die Anrainerstaaten Syriens" zwar finanzierbar, aber eine, die bei andauerndem Syrienkrieg nicht verpuffen würde, leider unrealistisch. 
Zur gegenwärtigen Situation (10.2.16): Es wird geplant, dass die Türkei die Flüchtlinge zurückhält und Europa nur ein Kontingent von ihnen übernimmt.

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