Sonntag, 11. September 2016

Merkel und die Presse

Mit leichtem Erschrecken habe ich einmal festgestellt, dass mich an Zeitungen die Meldungen immer weniger interessieren und ich meist bei den Kommentaren zu lesen anfange.
Inzwischen ist mir klar, dass ich das meiste, was mich an Nachrichten interessiert, schon am Vortag aufgenommen habe und daher der Kommentar das eigentlich Neue bringt.

Umso mehr stört mich, wenn ich bei Kommentaren eine Tendenz empfinde, dass ich in eine Richtung gedrängt werden soll. Wie jetzt bei den Sätzen von Thomas Kröter:
"Nun erlebt Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik ein Menetekel von alttestamentarischem Ausmaß. Wie dem babylonischen König Belsazar die berühmte Schrift an der Wand signalisieren der Kanzlerin die Kreuze für die AfD auf den Wahlzetteln, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Sie hat die Bürger herausgefordert. Die Götter der modernen Demokratie bestrafen sie, wie es scheint, gnadenlos für den Frevel." (Schafft Merkel das?" FR 6.9.16)

Natürlich hat mich nach jahrzehntelangem Engagement in der Asylbewerberarbeit gefreut, dass ab August 2015 weit häufiger und weit verständnisvoller als zuvor über die Probleme von Flüchtlingen berichtet wurde. Weniger erfreulich fand ich die herablassende Abqualifizierung von Anhängern von Pegida und AfD. Etwas verstört war ich, wie einhellig die Zustimmung zu Merkels Entscheidungen war, ohne dass genügend darauf hingewiesen wurde, wie riskant sie war angesichts der Tatsache, dass die Aufgabe der Integration von Flüchtlingen jahrzehntelang vernachlässigt worden war. 

Der plötzliche Umschwung zu einer harschen Kritik an Merkels Entscheidung aber empört mich geradezu. 
Wie kann man kritiklos eine Entscheidung gutheißen und dann plötzlich so tun, als wäre das nicht gewesen? Nur weil einige Ereignisse (Kölner Silvesternacht, Terroranschläge und Amokläufe), die durch diese Entscheidung gewiss nicht verursacht und vermutlich nur marginal begünstigt wurden, zu einem Stimmungsumschwung in der Bevölkerung geführt haben?
Und dann diese an den Haaren herbeigezogene Behauptung, Merkels Flüchtlingspolitik habe zu einem Menetekel geführt, was impliziert, sie hätte einen Frevel begangen, als sie sich entschied, die rigide Abschottungspolitik der Festung Europa für ihren Teil zu beenden.
Seit wann sind die AfD-Wähler, die man noch wenige Monate zuvor als dumpfe Anhänger rechtspopulistischer Parolen verhöhnt hatte, plötzlich die "Götter der modernen Demokratie"?

21% der in Mecklenburg-Vorpommern abgegebenen Stimmen entfielen auf die AfD, rund 70% auf Parteien, die eine rigide Abschottung verwerfen. Und das soll ein Beweis sein, dass Merkels Entscheidung ein Frevel war?

Wenn sich der Mainstream der Medien über Wagenknechts begründete Kritik an Merkel aufregt und gleich darauf Merkel kritisiert, sie hätte unverantwortlich gehandelt, dann kann ich ihn nicht mehr zum Qualitätsjournalismus rechnen. Und Thomas Kröter, der - vermutlich ohne es zu merken - die AfD-Wähler zu den Göttern der Demokratie erhebt, schon gar nicht. 

Offenbar ist nicht nur in der CSU das Grundgesetz eine ungeliebte Pflichtlektüre, die man am liebsten gleich wieder verdrängt. 
Dass die Würde des Menschen zu achten, kein Frevel ist, das sollte man aber auch ohne intensives Grundgesetzstudium erkennen können. 

Dass Merkel keine Wege zur Integration der Flüchtlinge aufgezeigt, geschweige denn gebahnt hat, das darf man ihr gewiss vorwerfen. Deshalb aber zu behaupten, ihre Konkurrenten in der Union hätten, wie Kröter andeutet, bessere Führungsqualitäten, ist zumindest etwas kühn.

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