Sonntag, 20. November 2016

Muss Merkel den Westen anführen?

Bei seinem Abschiedsbesuch in Berlin hat der scheidende US-Präsident Obama nicht an Worten des Lobes für Bundeskanzlerin Merkel gespart. Sie stehe für große Glaubwürdigkeit und sei bereit, für ihre Werte zu kämpfen. Auch viele Journalisten sehen in der Kanzlerin nach dem Wahlsieg Trumps die letzte Garantin für den Erhalt westlicher Ideale. Andere haben jedoch Zweifel, ob sie dieser Aufgabe gewachsen ist. (euro|topics: Muss Merkel den Westen anführen?)

PROTAGON.GR (GR)
Eine muss die Lücke füllen
Es gibt nur eine Frau, die in der Lage ist, die freie Welt vor ihren Feinden zu verteidigen, ist Protagon überzeugt:
„Frau Merkel hat verstanden, dass die Geschichte ihr eine schwerwiegende Pflicht auferlegt hat. Seit langem war es ihr klar, aber wir hier in Griechenland wollen es nicht zugeben. 2015 wollte sie nicht zusehen, wie die EU zerbricht, weil einige in Berlin und Athen mit dem Schicksal eines Landes spielten. Sie hat uns in der Eurozone behalten und die EU zusammengehalten. Jetzt scheint sie die Rolle des Gegengewichts zu Trump, Putin, den Chinesen, Erdoğan und anderen einzunehmen. ... Es ist schwierig, Deutschland als Führer der freien Welt, als Nachfolger von Obamas Amerika zu akzeptieren. ... Doch da Trump es vorzieht, sich mit West Virginia zu beschäftigen als mit dem Mangel an Demokratie in Osteuropa, der griechischen Krise, dem Zypernproblem oder Erdoğans Wahnsinn, muss jemand die Lücke füllen.“
(Panos Papadopoulos)

LA STAMPA (IT)
Es bleibt nur die eiserne Kanzlerin
Mit dem Abschied Obamas beginnt eine neue Ära, glaubt La Stampa:
 „Es ist der Beginn des Widerstands der liberalen Demokratien gegen das Phänomen Trump-Brexit-Cinque-Stelle. ... Es wird nicht einfach sein, denn die Werte der westlichen Demokratien seit Ende des Zweiten Weltkriegs scheinen nicht mehr von allen Bürgern geteilt zu werden. ... Obama und Merkel, aber auch Hollande und Renzi müssen die Verantwortung auf sich nehmen. Sie haben beigetragen zu der politischen Revolution, deren Opfer sie nun sind. Die Unfähigkeit, die Globalisierung den unteren Schichten 'anzupreisen', das teutonische Beharren auf dem Sparkurs, selbst wenn er kontraproduktiv ist, die wirtschaftlichen Schummelspielchen Südeuropas - all das hat zur Entfremdung der Bürger beigetragen. ... Die Fronten sind nun klar abgesteckt. Auf der einen Seite charismatische und Honig um den Mund schmierende Verschrotter wie Trump, Le Pen und Grillo. Und auf der anderen? Nun, da der Präsident der Hoffnung sich verabschiedet hat, bleibt auf der anderen Seite nur die eiserne Kanzlerin.“ (Francesco Guerrera)

 LE POINT (FR)
Merkel ist keine große Politikerin
Dass Angela Merkel eines Tages eine Führungsrolle innerhalb der EU erhalten würde, war alles andere als absehbar, analysiert Le Point:
 „Das Seltsamste ist, dass Deutschland nicht wirklich danach gestrebt hat, sich als Führer Europas zu positionieren: Die Schwäche seiner Partner, vor allem der Bedeutungsverlust Frankreichs, haben die Kanzlerin dazu veranlasst, diese Rolle zu übernehmen, für die sie eigentlich gar nicht geeignet war. … Sie ist alles andere als eine Frau der Visionen und großer strategischer Manöver. Sie sträubt sich davor, internationale Verantwortung zu übernehmen, welche die Bedeutung ihres Landes erfordert, und hat weiterhin Vorbehalte hinsichtlich eines Bundeswehreinsatzes im Ausland. Sie ähnelt, wie sie es selbst sagt, eher einer schwäbischen Hausfrau, die sich um eine wohldosierte Suppe bemüht und auf ihre Geldbörse achtet. Es sind die Umstände und die Zufälle der Geschichte, die Angela Merkel zur Galionsfigur der Europäischen Union gemacht haben.“ Pierre Beylau 

POLITIKEN (DK)
Gebraucht wird ein Team 
Merkel allein wird es ganz sicher nicht schaffen, die geltende Weltordnung zu retten, wirft Politiken ein:
 „Viele beeilen sich jetzt, Angela Merkel als die neue Führerin der freien Welt auszurufen. Aber das ist zu vereinfacht und zudem verkehrt. Die deutsche Führung ist willkommen und notwendig. Aber für das Überleben der EU und der transatlantischen Zusammenarbeit ist mehr notwendig. Andere - auch dänische - Politiker müssen mit ganzem Herzen die Institutionen und Werte verteidigen, die das Rückgrat unseres wirtschaftlichen und politischen Systems ausmachen. Wir brauchen keine Einzel-, sondern eine Teamleistung.“

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