Montag, 27. März 2017

Ist der Zusammenhalt der EU stark genug?

Mit 27 Unterschriften ist die "Erklärung von Rom" am Samstag einstimmig besiegelt worden.
Die Staats- und Regierungschefs der EU - ohne Großbritannien - bekannten sich damit zu Zusammenhalt und gemeinsamen Werten anlässlich des 60. Jahrestags der Römischen Verträge. Europas Presse sorgt sich trotz aller demonstrativ zur Schau gestellten Einigkeit um den derzeitigen Zustand der Union. Doch einige Journalisten blicken auch positiv in die Zukunft.

 EXPRESSO (PT) Senilität statt Vitalität 
Ganz und gar nicht in Feierlaune ist Expresso: „Die EU offenbart momentan mehr Anzeichen von Senilität als Vitalität. Das von Jean Monnet und Robert Schumann geträumte Europa leidet unter fünf Übeln: die Teilung zwischen Nord- und Südeuropa, die immer deutlicher wird (wie die jüngsten Aussagen von Dijsselbloem gezeigt haben); das Risiko eines Zerfalls, das sich mit dem Brexit exponentiell erhöht hat; ein populistischer und autoritärer Drift, der immer mehr Anhänger findet; ein nicht erklärter Krieg [Terrorismus], der im inneren der Union Opfer fordert ... Und schließlich die Unfähigkeit, gemeinsame wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen um das Wachstum anzukurbeln und die Staatsschuldenkrise zu lösen. Die EU bewegt sich in Richtung eines unaufhaltsamen Niedergangs. Und nur die Erkenntnis, dass die Welt, die folgt, deutlich schlimmer sein wird als die jetzige, kann diese Entwicklung aufhalten.“
 GOŚĆ NIEDZIELNY (PL) Zwei Geschwindigkeiten werden zur Realität 
"Wir werden gemeinsam - wenn nötig mit unterschiedlicher Gangart und Intensität - handeln, während wir uns in dieselbe Richtung bewegen", heißt es in der Erklärung von Rom. Gość Niedzielny sieht das kritisch: „Es ist nicht so, dass die Römische Erklärung etwas Unwesentliches wäre - im Gegenteil. Sie gibt offen die Vision vor, welche die Gemeinschaft verfolgen soll, auch wenn der Weg dahin noch konkretisiert werden muss. ... Wir sollten uns jedenfalls nicht der Illusion hingeben, dass diese Erklärung die Richtung für die EU bereits klar vorgibt. Es handelt sich dabei um das Europa der zwei Geschwindigkeiten, von dem im Westen bereits immer so viel die Rede ist. Es existiert bereits seit Jahren. Jetzt gibt es eine klare Aussage zur Vertiefung dieser Teilung.“ Jacek Dziedzina
 LE FIGARO (FR) Europa-Genervte bilden die Mehrheit
Hubert Védrine, ehemaliger Außenminister (1997 bis 2002) und Europa-Befürworter, warnt in einem Interview mit Le Figaro vor der Mehrheit der von der EU enttäuschten Bürger: „Die größte Gefahr für das europäische Projekt ist intern: Das Volk in Europa macht nicht mehr mit. Selbst wenn man die wirklich anti-europäisch eingestellten, wie die Wähler des Front National in Frankreich oder die Linksextremen weglässt. Wenn man nur die Gleichgültigen (60 Prozent Enthaltung bei den Europawahlen), die Skeptiker, die Enttäuschten und die, die auf die übermäßige, aufdringliche und nervige Regulierung allergisch reagieren, mitzählt, dann formen jene in fast allen europäischen Ländern eine Mehrheit. ... Das ist viel schlimmer und wichtiger als die Asylbewerber- und Migrantenströme, die Provokationen Putins oder die Beleidigungen und Marotten Trumps. Komischerweise wird diese Diagnose, so offensichtlich sie auch sein mag, noch nicht von allen geteilt. Selbst diejenigen, die darin übereinstimmen, ziehen nicht die gleichen Konsequenzen daraus.“ Hubert Védrine

 THE DAILY TELEGRAPH (GB) Kein Wunder, dass Briten den Brexit wählten 
Die europäische Integration ist zu einem Irrweg geworden, die Kosten sind mittlerweile höher als der Nutzen, bilanziert The Daily Telegraph kritisch: „Der Euro hat zur Zerstörung von Volkswirtschaften beigetragen. Ein komplexer und widersprüchlicher Zugang zum Thema Zuwanderung hat es deutlich schwieriger gemacht, die Flüchtlingskrise zu bewältigen. ... Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat Großbritanniens EU-Austritt als 'tragisch' bezeichnet. Wie zu erwarten hat er dafür eine Tendenz, die er bei uns Briten erkannt haben will, verantwortlich gemacht: nämlich die EU als Wurzel aller Probleme zu sehen. Das ist eine durchaus richtige Interpretation der britischen Politik. Doch Juncker täte besser daran, zu ergründen, warum die Euroskepsis mehrheitsfähig wurde. Die britischen Wähler sind nicht irrational. Sie haben sich genau angesehen, wie viel dieses EU-Projekt kostet und wo es hinführt - und sie haben befunden, dass es nicht länger etwas für sie ist.“

 DIE PRESSE (AT) Jugend will nicht zurück zum Nationalstaat
Optimistisch blickt immerhin Die Presse in Europas Zukunft: „Wird die EU weitere 60 Jahre bestehen? Seriös beantworten wird dies wohl niemand können, doch es gibt durchaus Hoffnung - und die ruht vor allem auf der jüngeren Generation. Wie die meisten Umfragen in den verschiedenen Ländern zeigen, sind es vor allem die Älteren, die zu EU-Skepsis neigen. Gezeigt hat sich das unter anderem bei der Brexit-Abstimmung in Großbritannien, bei der die Mehrzahl der Jüngeren für einen EU-Verbleib gevotet haben. Auch in den Oststaaten, wo es sehr starke Anti-EU-Ressentiments gibt, ist es die jüngere Generation, die durchaus europäisch denkt. Viele von ihnen sind aufgewachsen in einer Zeit, als man ungehindert über die meisten Grenzen fahren konnte, sie kennen die Freiheit, da und dort in Europa zu studieren oder erste Jobs anzutreten. ... Diese Generation, die nach und nach auch mehr zu sagen hat, will sich diese Freiheiten nicht von nationalistischen Blockierern nehmen lassen.“ Gerhard Bitzan

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