Montag, 6. März 2017

Muss Europa AKP-Wahlkampf verbieten?

Im Streit über abgesagte Auftritte türkischer Politiker in Deutschland hat Erdoğan deutschen Behörden Nazi-Praktiken vorgeworfen. Österreichs Bundeskanzler Kern sprach sich dafür aus, derartige Veranstaltungen EU-weit zu verbieten. Europa muss Erdoğan endlich entschiedener entgegentreten, fordern auch einige Kommentatoren. Andere sehen ein Auftrittsverbot für türkische Politiker kritisch.
DER STANDARD (AT)

Auftrittsverbot wäre Geschenk für Erdoğan

Europäische Demokratien müssen die Auftritte türkischer Minister ertragen, führt Der Standard aus:
„Wir sollten uns zur selbstgegebenen Verfassung bekennen und Rede- und Meinungsfreiheit gewähren, solange nicht Gesetze gebrochen werden. Und wenn dies geschieht, sollten wir stark genug sein, die Konsequenzen zu ziehen, seien sie auch unangenehm. Da müssen wir durch, und sei es auch mit Bauchweh und Kopfschmerzen. Zumindest über das rechtliche Instrumentarium verfügen wir bereits. Ein neues, EU-weites Auftrittsverbot für türkische Politiker würde wohl kaum den Druck Ankaras von einzelnen Ländern - etwa Deutschland - nehmen, sondern die Union als Ganzes schwächen. Denn ein gegen die Türkei gerichtetes Verbot würde bloß dem Narrativ von Präsident Tayyip Erdoğan helfen. Er würde das als Angriff auf ihn persönlich und seine Nation sehen. Und er würde davon sprechen, dass die EU den Rechtsstaat zwar predigt, diesen aber selbst nicht so genau nimmt, kommt es hart auf hart. Ein Verbot wäre ein Geschenk an ihn.“
Gianluca Wallisch
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LIDOVÉ NOVINY (CZ)

Deutsch-Türken als Fünfte Kolonne?

Auch wenn die Auftrittsverbote für türkischer Politiker in Europa eine Einschränkung der Redefreiheit sind, hält Lidové noviny sie für gerechtfertigt:
„Es sollte uns stutzig machen, wenn der türkische Präsident Erdoğan als ein Verteidiger dieser Freiheit auftritt und Deutschland Nazi-Praktiken vorwirft. Vielleicht setzt er auf die multikulturellen Eliten in Deutschland, die für 'Menschen mit Migrationshintergrund' eine Schwäche haben. Die grundsätzliche Frage ist die nach der Grenze zwischen dem freien Rederecht für Politiker und unerlaubten Kampagnen auf dem Boden eines souveränen Staats. ... Sollte Präsident Erdoğan die Deutsch-Türken weiter als seine Wähler sehen, dann verstärkt er den Eindruck der Europäer, dass Deutsch-Türken - und Muslime generell - eine Art fünfte Kolonne sind.“
Zbyněk Petráček
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VEČERNJI LIST (HR)

Türkischer Präsident hat Merkel in der Hand

Warum Deutschland Erdoğans Provokationen nicht entschiedener entgegentritt, erklärt Večernji list:
„Merkel berühren die türkischen Nazivorwürfe nicht. Sie macht sich vielmehr darüber Sorgen, dass Erdoğan 3,5 Millionen Flüchtlinge jederzeit aus der Türkei nach Europa ziehen lassen könnte. Eine erneute Flüchtlingswelle könnte sie persönlich den Wahlsieg kosten und die EU an den Rand des Zusammenbruchs bringen. ... Erdoğan will nun selbst in Deutschland auftreten. Sollte ihm das verwehrt werden, wird er alles daran setzen, Merkel, Deutschland und die EU zu destabilisieren. Vielleicht ist das der Grund, weshalb sich weder Deutschland noch die EU ernsthaft für die Einhaltung von Menschenrechten und Pressefreiheit in der Türkei engagieren. ... Die Kombination aus europäischer Ängstlichkeit und Laschheit, sowie Erdoğans Schlauheit und unverschämter Entschlossenheit, könnte uns alle teuer zu stehen kommen.“
Marina Šerić
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