Sonntag, 8. Oktober 2017

Zur Vorgeschichte der gegenwärtigen Situation der SPD (H. Däubler-Gmelin)

[...] „Arbeit und Umwelt“, dieser mit dem Namen Volker Hauff verbundene erste Anlauf zu nachhaltiger Ressourcenschonung, zum Schutz der Umwelt vor Zerstörung und zum Ausstieg aus der unverantwortlichen Atomenergie. [...] Auch die Erarbeitung der Konzepte zur Mitgestaltung Europas und der Nord-Südbeziehungen durch die Zusammenarbeit der sozialdemokratischen Parteien haben den Wahlerfolg 1998 mit vorbereitet. Es zahlte sich aus, dass unsere Vision von einer zukunftsfähigen Gesellschaft, die klare Analyse der Realität und die Bereitschaft, die SPD–Gremien mit Neuem zu konfrontieren, wichtige Grundlagen für die Konzepte waren, die zunächst die Unterstützung der SPD-Mitglieder und dann die der Öffentlichkeit gefunden haben.
Die Zeit der Schröderschen Kanzlerschaft allerdings folgte dann wieder ganz anderen Maximen: Der neoliberale Zeitgeist mit seiner Verachtung einer inklusiven starken Demokratie, mit seinem Abrücken von der Rolle des Staates und der wachsenden Vergötterung des Einflusses der wirtschaftlich Mächtigen, der Unternehmen, denen der Staat zu dienen habe, hatte längst auch Viele in der SPD-Führung fasziniert. [...] Kaum mehr in Erinnerung sind die richtigen Entscheidungen der SPD in der rot-grünen Regierung gegen den verhängnisvollen Irak-Krieg, für den Ausstieg aus der Atomenergie, für die Förderung erneuerbarer Energien oder auch für die Einführung der Lebenspartnerschaft. Prägend für die Einstellung vieler Menschen zur SPD bis heute ist vielmehr die Bevorzugung der Vermögenden und großer Unternehmen und die Liberalisierung des Finanzsektors und vor allem die Agenda 2010 in der zweiten Schröder-Amtszeit mit all ihren Fehlern. Die wurden nicht dem grünen Koalitionspartner, sondern der SPD angelastet. Dieser zentrale Verstoß gegen die sozialdemokratischen Grundwerte von Gerechtigkeit und Würde der abhängig Beschäftigten und der Arbeitslosen rächt sich bis heute, obwohl manches Detail der damaligen Entscheidungen heute längst verändert worden ist. Erwartet wird eben nicht allein das stillschweigende Abrücken, sondern die klare Aussage der SPD, dass es sich bei der Agenda 2010 um ein verhängnisvolles neoliberales Abweichen vom Kurs, um eine Absage an die sozialdemokratische Vision von einer gerechten Gesellschaft gehandelt hat.
Auch das zeigen die letzten Bundestagswahlen. Dass sie nicht noch schlechter für die SPD ausgefallen sind, ist nur dem unglaublich intensiven Einsatz vieler Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer zu verdanken. Die Zeit der großen Koalition hat sich für die SPD nicht ausgezahlt. Grund dafür ist keineswegs allein die machtbewusste Rolle der Kanzlerin, die freilich mit ihrer uneitlen Art Manche für sich eingenommen hat. Entscheidend war auch nicht die Rolle der SPD als Juniorpartner. Die SPD wird vielmehr nicht um die Erkenntnis herumkommen, dass ihre Repräsentanten in den letzten Regierungsjahren keine eigenständige gesellschaftspolitische Vision deutlich gemacht haben. Richtig, sie haben kleine Veränderungen bei den Renten erreicht und über Gerechtigkeit geredet. Ja, es gab auch Erfolge, z. B. die Einführung des Mindestlohns. Wer allerdings meinte, daraus wieder die Ausrichtung der Politik auf den sozialdemokratischen Fixstern ablesen zu können, wurde durch merkwürdige Vorschläge wie den zum Tarifeinheitsgesetz oder zur Leiharbeitsregelung sofort wieder frustriert. Und dann vollends zurückgestoßen durch das geradezu vorsätzlich schädigende Verhalten des Wirtschaftsministers und der übrigen SPD-Führung beim Umgang mit Griechenland oder der Europäischen Freihandelspolitik: Schäubles EU- Politik, deren fatale Auswirkungen in Griechenland und anderen südlichen EU-Ländern die der Agenda 2010 in Deutschland weit in den Schatten stellen, hat diese SPD mitgetragen und unterstützt. Dasselbe gilt für die Demokratie- und Rechtsstaatsunverträgliche Freihandelspolitik der neoliberal ausgerichteten EU- Kommission mit ihrer gezielten Vertiefung der bestehenden erschreckend breiten Kluft zwischen einflussreichen Reichen und abgehängten Armen. [...]
 Es macht wenig Sinn, den mit 100 % der Stimmen des Parteitags zum Parteivorsitzenden gewählten Martin Schulz zum alleinigen Prügelknaben zu machen. Er hat gekämpft bis zuletzt, freilich nach seinem fulminanten Start, der klare Vision und auch Wege dorthin versprach und auf begeisterte Zustimmung stieß, auch gravierende Fehler gemacht: Schröder als Hauptredner zum Parteitag einzuladen, machte die nötige Distanzierung von der Agenda 2010 unmöglich und war ein Fehler. Sich in die Runde der Großen Koalition hineinziehen zu lassen, war ein zweiter Fehler, der jede Fortführung seiner eingangs gesetzten richtigen Signale unglaubwürdig machte. Der Wahlausgang war zu erwarten und hat gezeigt: So eine SPD wird weder gebraucht noch gewollt. Oder gewählt. Das alles sind aber nicht allein die Fehler von Martin Schulz. [...]" (Herta  Däubler-Gmelin Nachdenkseiten 8. Oktober 2017)

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